Künstliche Intelligenz beeinflusst inzwischen unser gesamtes Leben und macht selbst vor Religionen nicht halt. Doch während viele Glaubensgemeinschaften KI strikt ablehnen, erheben andere sie zu einer Art moderne Gottheit. Die Anthropologin Beth Singler von der Universität Zürich erforscht, wie religiöse Gemeinschaften mit den Segnungen und Flüchen künstlicher Intelligenz umgehen, und erklärt, welche Parallelen zwischen Religion und der datenbasierten Technologie bestehen.
Religion und KI – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Laut Beth Singler haben Religion und künstliche Intelligenz mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Beide sind Instrumente, mithilfe derer sich Menschen Antworten auf drängende Fragen wie beispielsweise zur eigenen Existenz oder zur Zukunft erhoffen. Gleichzeitig betrachten viele die Religion als ein Relikt vergangener Zeiten, während die KI als moderne Technologie mit enormen Chancen gepriesen wird. Doch auch Religionen sind dynamisch und entwickeln sich weiter. Oft sogar, indem sie neue Techniken in ihre Betrachtungsweisen mit einbinden.
Ein Beispiel ist die symbolische Verschmelzung von KI und religiösen Motiven. Hier wird Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle, das die Erschaffung Adams zeigt, aktuell von vielen Technikfreaks auf die Erschaffung der künstlichen Intelligenz hin umgedeutet.

KI zwischen extremer Ablehnung und extremer Anbetung
Die Reaktionen religiöser Gemeinschaften auf KI fallen sehr unterschiedlich aus. Einige konservative Gruppen betrachten künstliche Intelligenz als gefährlich oder gar als ein «Werk Satans». Andere, wie die mittlerweile aufgelöste Bewegung «Way of the Future», wollen hingegen eine KI-Gottheit erschaffen und verehren. Andererseits greift der Transhumanismus, der danach trachtet, menschliche Grenzen, einschliesslich Krankheit und Tod durch technischen Fortschritt zu überwinden, althergebrachte religiöse Ideen auf.

Vielfalt innerhalb der Religionen
Abseits der Extreme gibt es ein buntes Gemisch an Standpunkten. Das geht so weit, dass Befürwortung und Skepsis innerhalb einer Religion parallel existieren. Dementsprechend wird im Islam darüber diskutiert, ob humanoide Roboter mit der Bilderverbot-Regel im Einklang stehen. Die katholische Kirche hat sich mit dem sogenannten «Rome Call» ganz klar für ethische KI-Prinzipien ausgesprochen, nämlich für Transparenz, keine Diskriminierung und menschliche Verantwortung.

Der pragmatische Nutzen von KI im religiösen Alltag
Viele Glaubensgemeinschaften setzen KI bereits in ihrem Glaubensalltag ein. Während Pfarrer ChatGPT zur Ideenfindung für Predigten nutzen, leisten KI-gestützte Apps Seelsorge oder vermitteln religiöse Lehren.
Offene philosophische und ethische Fragen
Die Nutzung künstlicher Intelligenz wirft eine Reihe von Grundsatzfragen auf. Hat KI ein Bewusstsein? Kann sie Glauben haben? Während Skeptiker die Ansicht vertreten, dass Religionen bei der Auseinandersetzung mit solchen Themen eine lange Tradition vorweisen können und der Mensch nicht das Recht habe, etwas Menschengleiches zu erschaffen, sehen andere in der KI die Erfüllung eines göttlichen Plans.

Die Zukunft von KI und Religion
Ob künstliche Intelligenz zukünftig menschliche Priester ersetzen wird oder ob wir eines Tages zu einer KI-Gottheit beten werden, bleibt offen. Singler glaubt eher, dass in der Seelsorge, Theologie und religiösen Bildung KI auch weiterhin ein Hilfsmittel sein wird.
Klar ist: Je stärker KI unsere Gesellschaft prägt, desto mehr wird sie auch unsere Religion beeinflussen.