Zürich hat viele Gesichter: wirtschaftliches Zentrum, Kulturstadt und grüne Oase. Wer eine Pause vom geschäftigen Treiben sucht, findet am rechten Ufer des Zürichsees einen besonderen Rückzugsort: den Chinagarten. Nur einen kleinen Spaziergang vom Bellevue entfernt liegt ein Ort, der leiser und kleiner ist als viele bekannte Sehenswürdigkeiten, und dabei frei von Hektik. Wer ihn betritt, taucht in eine andere Welt ein und lässt den Alltag für ein paar Momente hinter sich.
Ein Geschenk mit Geschichte
Der Chinagarten ist mehr als nur ein schöner Park. Er wurde 1993 der Stadt Zürich von der chinesischen Partnerstadt Kunming geschenkt, als Dank für die Unterstützung bei einem Projekt zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung.
Gebaut wurde die Anlage von einem Team chinesischer Fachleute, unterstützt von lokalen Handwerkern. Was entstanden ist, geht weit über eine Gartenfläche hinaus. Der Zürcher Chinagarten ist eine originalgetreue Tempelanlage, wie sie in Südchina üblich ist. Eine Tempelanlage ist ein symbolisch gestalteter Raum, der spirituelle, kulturelle und architektonische Elemente miteinander verbindet – ein Ort der Einkehr und der Harmonie zwischen Mensch und Natur. Mit rund 3’400 Quadratmetern Fläche gilt der Chinagarten in Zürich zudem als die zweitgrösste Tempelanlage ihrer Art ausserhalb Chinas.



Ein Spaziergang durch eine fernöstliche Welt
Obwohl überschaubar, entfaltet der Garten eine starke Wirkung. Durch ein verziertes Tor gelangt man auf einen Rundweg, der an Teichen, Pavillons und Felsformationen vorbeiführt. Alles folgt den Prinzipien klassischer chinesischer Gartenkunst: Wasser, Stein, Pflanzen und Architektur bilden ein fein abgestimmtes Gleichgewicht. Im Zentrum liegt der grosse Teich mit dem Wasserpavillon, in dem sich Himmel und Bäume spiegeln. Kois gleiten durchs Wasser, Bambus wächst am Ufer. Jedes Detail hat Symbolkraft: Wasser steht für das Leben, Steine für Beständigkeit, Brücken für Veränderung und Übergänge.



Eine Stille, die man spürt
Wer den Chinagarten betritt, bemerkt sofort: Hier wird es leiser. Die Geräusche der Stadt treten zurück, es bleiben Vogelstimmen, Wasserplätschern und sanfte Schritte auf Steinwegen. Und obwohl es still ist, wirkt der Garten nicht leer – Menschen sitzen, lesen, meditieren oder blicken einfach auf das Wasser. Der Ort lädt dazu ein, für einen Moment den eigenen Rhythmus zu verlangsamen.


Philosophie, die sich sehen lässt
Der Garten folgt einer daoistischen Idee: dem Ideal eines vollkommenen Ortes. Ziel ist es, ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu schaffen – ein Abbild der Welt im Kleinen. Malereien und Inschriften in den Pavillons erzählen von Landschaften, Gedichten und der Suche nach Einklang. Wer sich auf die Details einlässt, entdeckt mehr als nur eine schön gestaltete Anlage – er entdeckt eine Weltanschauung, die vielleicht fremd erscheint, aber wohltuend wirkt.

Zentral gelegen und doch abgeschieden
Der Chinagarten liegt am Zürichhorn und ist gut mit Tram oder Bus erreichbar. Die Haltestelle „Chinagarten“ befindet sich nur wenige Gehminuten entfernt. Der Besuch lässt sich aber auch wunderbar mit einem Spaziergang am Seeufer verbinden. Trotz seiner Lage mitten in der Stadt bleibt der Garten ein Ort, den man bewusst aufsucht – und oft mit einem ruhigeren Blick verlässt.
Fazit: Der Chinagarten ist kein grosser Park und kein lautes Spektakel. Aber er ist ein Ort, der berührt. Als eine der grössten chinesischen Tempelanlagen ausserhalb Chinas verbindet er spirituelle Tiefe mit gestalterischer Schönheit, und das mitten in Zürich.
Für alle, die kurz innehalten möchten, ist der Garten ein idealer Rückzugsort. Und wer ihn verlässt, nimmt meist etwas mit: Ruhe, Klarheit – und vielleicht eine neue Sicht auf das, was wirklich zählt.